15 September 2012

Magenspaß für Nichtwichtige.


Fliegen kann heutzutage jeder, der sich auch eine Fahrkarte bei der Deutschen Bahn leisten kann. Früher war das mal jenen vorbehalten, die besonders wichtig und besonders reich waren. Oder nur reich. Diese Zeiten sind Reisegeschichte. Wenn ich die Wahl habe, fliege ich lieber. Nichtwichtig und unreich. Ich habe einen solchen Heidenspaß an im Flugzeug umherfliegen, dass ich das am liebsten beruflich täte. Berufsfluggast: Leider einer der vielen nicht staatlich anerkannten Ausbildungswege. Bei jedem Flug muss ich beim Startvorgang aufpassen, nicht vor lauter Freude sehr laut zu jauchzen. Flugzeugabheben ist mein persönliches Kinderkarussell. Ein großer und lustiger Magenspaß.

Spaßschmälernd empfand ich jedoch bei meinem letzten Flug von Berlin nach Köln, dass sämtliche Mitfliegende offenbar nicht vom Stamme Huilustig waren. Eingekeilt zwischen lebensfreudebefreiten Sakkos in Grauabstufungen war ich einsames, buntes, fröhlich quietschendes Teilchen einer ausschließlich männlichen Wochenendheimfliegermeute. Die testosterongeschwängerte Vielfliegerluft schien folgende, streng zu befolgende Sakkoregeln in die Kabine zu menetekeln: „Nicht anschnallen! Lässig Wirtschaftsteile von Umsonstzeitungen lesen! Nicht aus dem Fenster schauen! Gelangweilt aussehen! Niemals, niemals ‚Flugzeug’ sagen. Wir sagen ‚Flieger’. Oder ‚Maschine’! Und noch was: Sollte es uns noch so lecker schmecken: Wir bestellen keinen Tomatensaft, wir schauen nicht hin, wenn die Flugbegleiterin turnt, wir essen nach Flugende nicht sofort die Umsonstschokolade auf. “

Neidvolle Blicke folgten mir, als ich mich, gründlich angeschnallt, zunächst der Intensivlektüre des Notfallanweisungsblättchens widmete. Unterdrücktes Stöhnen unweit meines Fensterplatzes, als ich genussvoll meinen Tomatensaft exte. Einem sadistischen Impuls folgend applaudierte ich „Bravo! Bravo!“ rufend, als das Flugzeug landete. Dass deswegen das Sakko neben mir eine massive Ticstörung im Augen- und Oberlippenbereich produzierte, tat mir dann doch etwas leid. Um zum versöhnlichen Ausgleich etwas Farbe in die trübe Fluggemeinschaft zu bringen, schmierte ich abschließend einem allzu Grauen ein wenig Umsonstschokolade ans Jackett, als wir im Bus zum Terminal fuhren. Man tut ja, was man kann.

Nächstes Mal, soviel steht fest, fliege ich, freitagsabends, in Begleitung meiner Tochter. Bestimmt freuen sich die Menschen, wenn ich ihr jedes Detail unserer lustigen Flugreise genau und vor allem laut erkläre. Und wenn zwei vor lauter Magenspaß lachen müssen, trauen sich vielleicht auch die anderen.

Schwungvoll auf ihrem Schreibtischstuhl fortrollernd grüßt Sie sehr herzlich

Ihre Frau B.









[07.04.2006]

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Diese Geschichte ist ganz wundervoll erzählt und entspricht zu 100 % auch meiner Wahrnehmung. Ganz dickes Danke dafür ! <3