14 Oktober 2010

Bastionen.

19. Jahrestag des Mauerfalls, 9.11.2008, kurz vorm Kino im Maredo-Steakhouse. Ich will ein Tier essen, 180 Gramm, keine Beilagen, dazu ein kleines Becks. In meinem Blickfeld sitzt ein Paar, das sich nichts sagt. Er ist groß, übergewichtig, fasst sich in den Nacken, spricht nicht. Ein unsicherer Riese. Sie ist schlank, wirkt streng, extrem blond, extrem hochhackig und latent genervt, die Lippen schmal, spricht nicht. Er sagt was kleines Einsilbiges. Sie negiert knapp, ohne Worte, stochert in ihrem Salat. Hackt in ihren Salat. Tötet ihren Salat. Kein Lächeln. Kein Blickkontakt. "Sprich nicht", sagt das.

Ich esse mein Tier und sehe hin. Versuche, wegzuschauen. Klappt gar nicht. Muss das ansehen. Glotze das weg. Geisterbahn. Will das loswerden. Suche in meiner Tasche nach Papier. Finde den Kaufvertrag vom Sofa und schreibe, was ich sehe, mit einem Ikeableistift auf die Rückseite. Hier werden die Bedienungen von den Schichtchefs angekackt. Sie rennen, bongen ihre Bestellungen in einem Affenzahn, arbeiten in einem sagenhaften Tempo. Wenn sie einen Bon fertig haben, steht auf dem Display der Kasse:

***** enjoy!

Die einzige positive Verstärkung sendet ein Elektrogerät. Auf den Schreck trinke ich noch ein Becks.

Wie gestraft wäre ich jetzt, denke ich, daheim auf dem Sofa, beim DVD-Abend mit mittlerweile desinteressiertem, ganzheitlich erlahmtem Lebenspartner. Die ganz große Liebe, das ganz große Verstehen und Verlangen. Offenbarungen und Selbstoffenbarungen, die ersten Stürme, dann kehrt Ruhe ein. Vertrautsein. Schweigen. Warmes, einendes Schweigen. Bald: Zunächst mildes Genervtsein von Sachen. Dosiertes Desinteresse. Verdrängtes Mangelerleben. Bewusstes Mangelerleben. Thematisiertes Mangelerleben.

Unverstandenes Mangelerleben. Kleine Fluchten im Kopf. Gezwungene Geschäftigkeit. Sie wird hart. Er wird unsicher. Gerne auch mal umgekehrt. Die große Langeweile hat gewonnen. Das Warten auf die Missmutstrigger. Warten, suchen, finden. Dann fliegen die Worte. Die Fetzen. Fallen die Hemmungen. Es schießen die Scharfschützen der Kompanie der letzten Worte. Viele letzte Worte und nie genug. Man geht oder wird gegangen, es reißt, es zieht, und eins ist klar: Der Worte sind genug gewechselt. Nichts zielt mehr, nichts trifft mehr. Schimpfschrot und sein Streueffekt: Am Kern vorbei. Der Kern ist: Nicht geschafft. Das Bild des anderen: Nicht erfüllt. Jedes Mal: Nächstes Mal anders.

Allein am Tisch, allein im Kino: Nichts, nichts gibt es, was jetzt besser wäre. Sein, was kann. Bleiben, wo es geht. Gehen, wenn es dran ist.

Man kann auch zu zweit alleine froh sein, wenn das Essen da ist. Wer isst, darf schweigen. Heute gab es Steine an Bastionen.







Flavour heute: Wahrgegeben Nullacht
 

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